Mit dem Erweiterungsbau von 1911 wurde – wie es in der Eröffnungsanzeige zu lesen ist – das Fotoatelier mit Moore-Licht ausgestattet.
Moore-Lampen sind Gasentladungsröhren, die erst seit ca. 1910 in Deutschland produziert wurden. Eingesetzt wurden sie im Fotoatelier nicht zuletzt wegen ihrer tageslichtähnlichen Lichtfarbe. Die folgende Abbildung ist einer ca. 1930 publizierten Werbebroschüre für das Wertheim-Warenhaus in der Leipziger Straße in Berlin entnommen. Links oben im Bild die Moore-Leuchte.
Für das Fotoatelier warb Wertheim regelmäßig – immer am unteren Ende der Anzeige.
Mit dem 1. Weltkrieg endete die Zeit der Visit- und Kabinettkartenfotografie. Wie in obiger Anzeige vermerkt, wurden spätestens ab 1910 Fotografien auch im Postkartenformat angeboten. Hier einige Beispiele:
Im Jahr 1916 – drei Jahre später als in Berlin – kam die Schnellphotographie auch nach Rostock. Dazu wurde ein Atelier im Erdgeschoss eingerichtet.
Wahrscheinlich wurde das in der Anzeige angepriesene Dutzend auf einen einzigen Bogen kopiert. Die Einzelbilder hatten eine Größe von ca. 5 x 3,5 cm. Der Kunde musste selbst zur Schere greifen.
Mitte der 1920er Jahre gab es Pläne, die Schnell-Photographie aus dem Erdgeschoss ins Dachgeschoss zu verlegen, wo sich auch das Photographische Atelier befand. Ob die Pläne umgesetzt wurden, ist nicht bekannt.
Wohl um 1930 kam zur Schnell-Photographie die Express-Photographie. Bei diesem Verfahren war es möglich, das Modell in mehreren Posen abzulichten und auf einem Bogen auszudrucken.
Bei Wertheim waren auch Waren des fotografischen Bedarfs erhältlich. Fotoalben und Rahmen gab es wahrscheinlich mit Eröffnung des Warenhauses 1903. Materialien für den Fotoamateur wie z.B. Fotopapiere, Trockenplatten, Kopierrahmen und Chemikalien wurden ab den 1910er Jahren, vielleicht auch schon ab 1903, angeboten.
Ansichtskarten gab Wertheim auch in den 1910er Jahren im Globus-Verlag heraus.
Auch das Wertheim-Warenhaus gab es als Motiv:
Die nächste Ansichtskarte zeigt die beiden großen Rostocker Warenhäuser: im Vordergrund an der Ecke zur Kuhstraße das Kaufhaus Zeeck und dahinter Wertheim.
Auch auf der nächsten Karte, diesmal aus der entgegengesetzten Richtung (von Osten) aufgenommen, ist fast nur das Kaufhaus Zeeck zu sehen. Lediglich die ersten beiden Fenster rechts im Bild gehören zum Kaufhaus Wertheim.
Die Aufnahme birgt eine Überraschung: das zweite Fenster von rechts gehört zwar zum Wertheim-Warenhaus, im Schaufenster ist jedoch deutlich der Schriftzug „Zeeck“ zu erkennen.
In den 1920er Jahren wurden weiterhin Ansichtskarten verlegt, nun von der A. Wertheim GmbH Rostock.
Und hier vier Motive:
Der 31.12.1933 stellte eine Zäsur für alle Photo-Ateliers in Warenhäusern dar. Laut Verordnung über den Abbau der selbständigen Handwerksbetriebe in Warenhäusern vom 11. 07.1933 durften in Warenhäusern ab 31.12.1933 keine Schneidereien und Fotoateliers auf Rechnung des Unternehmers betrieben werden. Die Verordnung zielte auf die Schwächung der überwiegend jüdischen Warenhaus-Eigentümer.
Bis Ende des Jahres 1933 wurde regelmäßig in den Wertheim –Anzeigen auch für das Photographische Atelier geworben.
Und dazu einmal die komplette Anzeige vom 17.12., die Atelierwerbung steht unten links:
Karl Lorenzen, der laut untenstehender Anzeige das Rostocker Wertheim-Atelier bereits einige Jahre geleitet hatte, übernahm das Geschäft auf eigene Rechnung zum 01.01.1934.
Abgebildet ist ein Mädchen, Jahrgang 1921, in BDM-Uniform. Es ist zu vermuten, dass die Aufnahme ca. 1935 entstand. Der rückseitige Stempel gibt keinen Hinweis auf die Atelieradresse, jedoch kann fest angenommen werden, dass dieses Bild im ehemaligen Wertheim-Atelier entstand.
Wie am rückseitigen Stempel abzulesen ist, war Karl Lorenzen Mitglied der Photographen-Innung Mecklenburg. Dabei handelte es sich um eine Pflicht-Innung, die in der 2. Jahreshälfte 1934 eingeführt worden war.
Die Wertheim-Warenhäuser wurden 1937/38 „arisiert“ und firmierten danach als Allgemeine Warenhaus Gesellschaft AG, kurz AWAG.
Der Fotograf Karl Lorenzen wurde 1879 in Glückstadt geboren, heiratete 1906 in Berlin, wo er von 1907 bis 1910 mit der Berufsbezeichnung Photograph im Adressbuch zu finden ist. Ab Ende der 1920er Jahre wohnte er in Rostock. Im Juni 1940 verstarb Lorenzen unerwartet.
Schon bald danach suchte die AWAG nach einem neuen Pächter für das Atelier.
Ob sich ein Pächter fand, ist nicht bekannt. Spätestens mit den Bombardierungen im April 1942 endete das Kapitel eines Foto-Ateliers im Warenhaus. Der allgemeine Verkauf bei Wertheim konnte nach einigen Notreparaturen im Sommer 1942 im Erdgeschoss und später in der ersten Etage wieder aufgenommen werden.
Am 01.10.1949 wurde die AWAG Rostock enteignet. Die Vermögenswerte waren nun „Volkseigentum“ in der Verwaltung des Verbandes Mecklenburgischer Konsumgenossenschaften.
Am 05.12.1949 verfügte das Amt zum Schutze des Volkseigentums beim Ministerium des Innern der Landesregierung Mecklenburg an das Amtgericht Rostock, Registerabteilung die Löschung der „Firma AWAG, (Wertheim) Rostock“ aus dem Handelsregister.
Irgendwann zu DDR-Zeiten wurde die Immobilie von der Konsumgenossenschaft an die Handelsorganisation (HO) übertragen.
Im Vorderteil des Hauses befand sich dann das HO-Herrenmoden-Kaufhaus „Korrekt“, im hinteren Bereich war der Sitz des Großhandelsbetriebs Textilien.
In den 1990er Jahren wurde das Geschäft noch kurzzeitig von Hertie geführt.
Im Jahr 2000 verkaufte die Treuhand das Haus an die Kunst Immobilien GmbH. Und ist erst einmal ein Investor da, ist der Abriss auch nicht mehr fern.
Das Wertheim-Warenhaus war das erste Kaufhaus Rostocks, das diesen Namen verdient. Es gab und gibt eine Vielzahl von bau-, wirtschafts- und stadtgeschichtlichen Gründen für den Erhalt des gesamten Hauses oder zumindest der Fassade. Stattdessen wurden schnell statische Probleme angeführt. (Das hört sich doch bekannt an.)
Der Abriss des Wertheim-Warenhauses im Jahr 2000 war ein Kniefall von Politik und Verwaltung vor einem Investor. Ein Skandal.