Vor einigen Jahren überließ mir ein ehemaliger Rostocker drei alte Fotoalben sowie einige Schriftstücke. Die Alben enthalten mehr als 220 Bilder.
Ein Album enthält überwiegend fotografische Reproduktionen von Kunstwerken, einige Stadtansichten und Fotografien von Persönlichkeiten aus Kultur und Adel.
In den beiden anderen Alben sind Bilder aus der Familie und deren Umfeld enthalten. Das älteste Bild stammt aus den 1860er Jahren, das jüngste aus den 1950er Jahren. Aufgenommen wurden die Fotos ganz überwiegend in Rostock, aber auch in Malchin, Hamburg, Berlin, Schwerin, Leipzig, Kiel, Wilhelmshaven, Shanghai und Japan. Es sind auch einige Sammel- und Kitschbildchen enthalten. Es ist deutlich erkennbar, dass die Bilder nicht chronologisch geordnet sind und mehrfach umsortiert wurden.
Beginnen wir mit der Familiengeschichte. Eingehen werde ich aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen ganz überwiegend nur auf die Fotos, die bis ca. 1920 entstanden, das sind von den eingangs erwähnten 220 Bildern ca. 190.
Mehrere Bilder weisen rückseitige Beschriftungen, mit denen die abgebildeten Personen namentlich bezeichnet wurden. Nicht immer erwiesen sich die Beschriftungen als nachvollziehbar. Außerdem wurden die Beschriftungen von mindestens zwei Personen vorgenommen, die unterschiedlichen Generationen angehörten, was nicht sonderlich hilfreich war. So wurde dieselbe Person sowohl als Mutter als auch als Großmutter bezeichnet.
Dieses Kabinettfoto ist das erste in einem der Alben. Der Untersetzkarton macht einen ungewöhnlichen Eindruck. Er ist weiß und glänzend und trägt keinen Aufdruck des Fotografen. Die Rückseite ist hingegen bedruckt: H. Schaefer, Rostock, Poststraße 13; Neubrandenburg, Treptower Straße 344, Warnemünde, 3. Quartier 73a.
Es ist nicht anzunehmen, dass das Bild zufällig auf der Rückseite des Untersetzkartons fixiert wurde. Hier ein anderes Bild mit dem gleichen Karton:
Wahrscheinlicher ist, dass nicht Schaefer das Bild gemacht hat, sondern dass sein Ateliernachfolger H. Kinder die Kartons aufbrauchte, nachdem er das Atelier 1877 übernommen hatte.
Das Bild ist wahrscheinlich bewusst auf Seite 1 des Albums eingeordnet, weil es das Bild der Familie ist:
Der junge Mann ist Christian Vick. Die Frau rechts im Bild ist seine Ehefrau Dorothea: Es ist zu erkennen, dass sie schwanger ist. Die Aufnahme wird Mitte des Jahres 1878 gemacht worden sein, im September des Jahres wird die Tochter Henny geboren. Der Junge ist der Sohn Diederich, zum Zeitpunkt der Aufnahme fünf Jahre alt. Die etwas älteren Herrschaften sind die Eltern von Dorothea: Helene und Diederich Sternberg. Herr Sternberg war Schuhmacher. Die Familie wohnte im Großen Katthagen 6. Im Jahr 1867 hatte Sternberg das Haus für 1800 Thaler gekauft. Der Preis wurde in Raten gezahlt.
Vom Wohnhaus hatten die Sternbergs einen freien Blick zum Kloster und zur Universität:
Und noch etwas bearbeitet:
Rechts mit 1 bezeichnet die Klosterkirche. Die Kirche weist keinen Dachreiter auf. Der wurde 1899 aufgesetzt. Das Bild entstand folglich vor 1899. Hinter der Klosterkirche ist die Rückseite des Hauptgebäudes der Universität zu erkennen (Nr. 2). Im Vordergrund links ist eine Frau zu sehen (Nr. 3), wahrscheinlich eine Stiftsdame des Klosters. Sie bewegt sich durch eine kleine Grünanlage. Rechts die massiven Schuppen gehörten wohl auch zum Kloster.
Nun zur Familiengeschichte:
Das Ehepaar Sternberg hatte mindestens zwei Kinder: Dorothea und Alwine. Auf einem Bild gibt es den Hinweis, dass Alwine eine Halbschwester von Dorothea war. Die Geburtsdaten von Alwine variieren in den Volkszählungslisten und im Hochzeitsregister: 1841, 1852 und 1853. Sollte das Geburtsjahr 1941 bei Alwine stimmen, so könnte Helene, Jg. 1825, die Mutter sein, Diederich Sternberg, Jahrgang 1829, jedoch kaum der Vater. Alwine heiratete den Bäckergesellen Carl Bockmeyer, Jahrgang 1853, im Jahr 1877. Er verstarb bereits Mitte der 1880er Jahre. Im März 1880 wurde Sohn Albert geboren, der bereits im Oktober 1880 verstarb. 1882 wurde die Tochter Alwine geboren. Im Jahr 1900 lebte Alwine sen. als geisteskranker Pflegling im Katharinenstift und auch 1919 wurde sie in der Volkszählung als Kranke erfasst.
Tochter Alwine heiratete 1905 in Hamburg.
Mehr ist über diesen Familienzweig den Alben nicht zu entnehmen. Viel mehr gibt es zu Dorothea Sternberg, verheiratete Vick.
Abgebildet ist Dorothea. Sie und ihr Mann Christian hatten drei Kinder: Diederich wurde 1873 geboren, es folgten Henny 1878 und Helene 1881. Vermutlich sind es die Töchter, die neben Dorothea auf dem Bild zu sehen sind.
Christian Vick, der Gatte von Dorothea war von Beruf Tischler, wie auch auf dem nächsten Bild, das Jahrzehnte später entstand, erkennbar ist.
Die gekalkte Wand war ein beliebter Hintergrund für den Fotoamateur. Auch auf dem nächsten Altersbild des Ehepaars Vick ist sie zu erkennen.
Nachdem Christian 1914 verstorben war, verkaufte Dorothea selbstgemachte Puppen auf dem Markt, um das Einkommen aufzubessern.
Diederich, der Sohn von Dorothea und Christian erlernte den Beruf des Uhrmachers. Er arbeitete auch als Barbier und verkaufte Phonographen und Zubehör. Was nicht erklärt, warum er auf nachfolgendem Foto einen Totenschädel in den Händen hält.
Jüngstes Kind der Familie Vick war Helene, die 1881 geboren wurde.
Helene heiratete Heinrich Panzenhagen, Tischler aus Fahrenholz bei Rostock. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. Henni wurde 1907 geboren und starb 1917, Käte kam 1916 auf die Welt und starb 1923.
Von Heinrich Panzenhagen haben sich keine Fotos erhalten, aber von seiner Schwester Minna, die mit dem Tischler Ernst Todtenhaupt verheiratet war.
Das dritte Kind von Dorothea und Christian Vick war Henny (Jg. 1878).
Dasselbe Motiv vignettiert im Kabinettformat:
Henni heiratete Friedrich Mahncke, der aus Harburg stammte und von Beruf Elektriker war. Friedrich war seit Anfang der 1890er Jahre in Rostock ansässig. Wohl kurz vor der Hochzeit gingen beide zum Fotografen:
Friedrich hatte zwei ältere Brüder: Carl und Ernst.
Außerdem gibt es eine Reproduktion aus den 1920er der 1930er Jahren einer Aufnahme mit Friedrich Mahncke, das wohl um 1900 entstand und ihn als Angehörigen der I. Werft-Division der Kaiserlichen Marine zeigt.
Es ist davon auszugehen, dass Friedrich Mahncke in den 1890er Jahren mit SMS Cormoran in Ostasien unterwegs war. Einige Aufnahmen aus dieser Zeit mit Marineangehörigen finden sich in den Alben.
Bereits 1915 verstarb Friedrich Mahncke. Nachfolgendes Bild aus einer gastronomischen Einrichtung zeigt ihn als Dritten von links.
Von den fünf Kindern von Friedrich und Henny Mahncke finden sich nur wenige Bilder. Das eine ist ein Amateurfoto und zeigt die drei eigenen Kinder Henni, Lisbeth und Diederich sowie deren Neffen Max und Hans Vick.
Auch auf dem nächsten Foto ist Diederich Mahncke zu sehen:
Diederich Mahncke wurde Klempner. 1927 heiratete er die Verkäuferin Margarethe Gatzke. Nachfolgende Aufnahme vom Hochzeitstag entstand in der „guten Stube“ am Katthagen.
Eines der drei Alben enthält keinerlei Familienfotos. Es ist ein Sammelalbum mit fotografischen Reproduktionen von Gemälden und Skulpturen, einigen fotografischen Stadtansichten und Fotografien von Adligen und anderen bedeutenden Personen der Zeit.
Das Album ist nahezu vollständig erhalten. Der Zeitraum der Entstehung lässt sich gut nachvollziehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass es von Dorothea Vick oder ihrem Ehemann in den 1860er Jahren angelegt wurde und die nachfolgenden Generationen nur ganz unerheblich ergänzten oder umsortierten.
Die abgebildete Doppelseite zeigt exemplarisch einen Querschnitt der Darstellungen: Personen der Zeit, Reproduktionen von Genremalerei und historischen Persönlichkeiten.
Schauen wir uns zwei Abbildungen genauer an. Der Herr auf der rechten Seite oben ist Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha (1818-1893).
Visitformat
Fotografiert wurde der Herzog in von Ghémar Frères, dem Promifotografen Brüssels der 1860er und 1870er Jahre. Verkauft wurde das Bild von der Buch- und Kunsthandlung von Hermann Koch.
Rechts neben dem Herzog ist das Bildnis einer Schauspielerin zu sehen:
Fanny Janauschek, (1829-1904) war eine österreichische Schauspielerin. Von 1849 bis 1860 war sie fest am Frankfurter Schauspielhaus engagiert. Ihre Entlassung 1860 aus Sparsamkeitsgründen rief einen Theaterskandal hervor. In Frankfurt am Main ließ sie sich von Philipp Hoff fotografieren.
Weitere Künstlerporträts finden sich im Album, z.B. von Ludwig van Beethoven:
Auch Künstler aus der Umgebung fanden Eingang ins Album. Fritz Reuter wurde in Neubrandenburg von Wilhelm Bahr fotografiert, den Urheberstempel hat die Rostocker Buchhandlung Koch mit dem eigenen Firmenetikett überklebt.
Ganz überwiegend finden sich Reproduktionen von Gemälden oder Skulpturen im Album.
Dabei bestimmen religiöse Themen, Genremalerei und jahreszeitliche Allegorien die Motivauswahl.
Zeitgenössisch sind zehn fotografische Stadtansichten, vier aus Stralsund und sechs aus Rostock. Jeweils ein Beispiel zum Abschluss: