Die Biografie von Egon Keilmann ist so extrem, wie wohl nur ein Lebenslauf im 20. Jahrhundert sein konnte. Keilmann lebte im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus, in der Sowjetischen Besatzungszone, in der DDR und der BRD. Augenscheinlich war Keilmann national gesinnt, hatte eine gewisse Nähe zum Militär – war plötzlich Jude und nicht mehr der deutsche, verdiente Frontkämpfer. Und auch die Zeit nach 1945 verlief nicht ohne Wendungen – aber der Reihe nach:
Egon Keilmann wurde am 14. Mai 1890 in Riga geboren. Sein Vater, Philipp Keilmann, war promovierter Chirurg und arbeitete u.a. auch als Arzt im russischen Staatsdienst und erhielt dafür den Titel Staatsrat.
Egons Mutter Hulda kam aus Ostpreußen. Sie war Philipp von Keilmanns zweite Ehefrau und mehr als 25 Jahre jünger als ihr Ehemann. Egon hatte eine Schwester, Margarita, geb. 1891. Nachdem der Vater 1902 im Alter von 75 Jahren verstarb, zog die Familie 1904 nach Rostock, um den Kindern eine bessere Schulbildung angedeihen zu lassen.
Im März 1907 wurde Egon Keilmann an der Heilig-Geist-Kirche konfirmiert. 1911 machte er an der Großen Stadtschule Abitur. Anschließend war Keilmann Volontär auf der Neptun-Werft. In den Jahren 1913/14 studierte er an der Technischen Hochschule Danzig Schiff- und Schiffsmaschinenbau. Ab August 1914 diente Keilmann als Kriegsfreiwilliger.
Im Januar 1915 wurde er eingebürgert. Nach einer Ausbildung beim holsteinischen Feldartillerie-Regiment 24 in Güstrow zum Kanonier und Telefonisten wurde Keilmann in den Jahren 1915/16 an der Ostfront eingesetzt, u.a. im März 1916 in der Schlacht am Naratsch-See. Ab Herbst 1916 kämpfte Keilmann an der Westfront, u.a. bei Verdun und Reims.
Für seinen militärischen Einsatz erhielt Keilmann das Mecklenburgische Militär Verdienstkreuz und das Eiserne Kreuz II. Klasse. Ende November 1918 wurde er in Hamburg-Bahrenfeld als Stabsfeldwebel aus dem Heer entlassen.
Nach dem Krieg fehlte Egon Keilmann das Geld, um sein Studium in Danzig fortzusetzen. Seine Mutter hatte eine Witwenrente aus Russland bezogen, die nach der Revolution hinfällig war. Keilmann war in der Folgezeit als Techniker bei verschiedenen Werften und bei den Ernst Heinkel Flugzeugwerken tätig. 1921 heiratete Keilmann die Gärtnerin Constantine Karaszewski.
Ab 1923 arbeitete Egon Keilmann zuerst als Volontär und später als Gehilfe bei einem, namentlich nicht bekannten, Rostocker Fotografen. 1929 machte sich Keilmann als Fotograf selbstständig.
In den Folgejahren war Keilmann viel in Rostock und im näheren Umland unterwegs, fotografierte Hochzeitgesellschaften, Ladeneinrichtungen, Ausflugsdampfer und Gaststätten. Und Militär fotografierte Keilmann – Kompanien, Offiziere, Aufmärsche. Von den neuen Kasernen in der Adolf-Hitler-Straße, heute Kopernikusstraße, gab er Ansichtskarten heraus.
Ende der 1930er Jahre konnte Keilmann von seinen Einkünften als selbstständiger Fotograf wohl nicht mehr existieren. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Rostocker Anzeiger mit Kriegsbeginn kaum noch Aufnahmen örtlicher Fotografen verwendete, sondern auf überregionale Angebote von Hoffmann und Weltbild zurückgriff oder auf Veröffentlichungen der Pressestellen und von Amateuren. Jedenfalls war Keilmann spätestens 1940 als Angehöriger der Ordnungspolizei tätig. Im Juli 1940 wendete sich das Polizeipräsidium Rostock an das Innenministerium in Schwerin, denn es waren „Zweifel aufgetaucht, ob der Vorgenannte deutschen oder artverwandten Blutes ist.“ Es dauerte nur wenige Wochen, bis für das Polizeipräsidium feststand, dass Egon Keilmann Jude war. Seine Eltern waren laut Geburts- bzw. Heiratsurkunden jüdisch. Dass Egon Keilmann evangelisch getauft und konfirmiert war, zählte nicht. Bereits im August 1940 wurde ihm die Ausübung des fotografischen Gewerbes untersagt, es erfolgte die Entlassung aus dem Polizeidienst. Da er sich weigerte, den gelben Stern zu tragen und die Judenkennkarte zu beantragen, kam er Ende 1940 in Untersuchungshaft in Rostock. Schließlich erklärte er sich bereit, die Kennkarte zu beantragen und ständig an seiner Kleidung den gelben Stern zu tragen.
Im Januar 1941 stellte das Reichssippenamt durch Abstammungsbescheid endgültig fest, dass Egon Keilmann Jude sei.
Ab Frühjahr 1941 arbeitete Keilmann beim Fotografen Chrysantus Stuth im Labor. Auch ein französischer Zwangsarbeiter war dort angestellt. Es ist Stuth, dem Obermeister der Rostocker Fotografen, hoch anzurechnen, dass er einen Juden beschäftigte. Mehrfach kontrollierte die Gestapo das Geschäft von Herrn Stuth. Egon Keilmann musste sich zweimal pro Woche bei der Gestapo melden. 1941 kam er durch Denunziation nochmals kurzzeitig in das Zuchthaus Dreibergen-Bützow, weil er den gelben Stern mit Druckknöpfen an seinen Arbeitskittel befestigt hatte, damit er die Kunden im Photoatelier ohne dieses Kennzeichnen bedienen konnte. Noch im April 1945 war Keilmann und seine bereits an einem seelischen Leiden schwer erkrankte Ehefrau für die Deportation in das Ghetto Theresienstadt vorgesehen. Nur durch das Vorrücken der Roten Armee wurde dies verhindert. Nach der Befreiung war Egon Keilmann für die Stadtverwaltung als Russischdolmetscher tätig.
Im Jahr 1950 wurde Egon Keilmann von der Stadtverwaltung entlassen, weil seine Dolmetscherdienste nicht mehr gebraucht wurden. Deshalb wandte sich Keilmann an die Vereinigung der politischen Gefangenen und Verfolgten des Nazi-Systems (VVN), um sich als Verfolgter des Naziregimes anerkennen zu lassen, um besser eine Anstellung zu finden. Anfang 1951 wurde dem Antrag stattgegeben. Ihm wurde eine sofortige monatliche Rente von 261,20 Mark bewilligt. Auf der Neptun-Werft erhielt er eine Anstellung als Dolmetscher.
Die Verfolgung während der NS-Zeit hatte dazu geführt, dass sowohl er und noch mehr seine Frau psychische Schäden davontrugen. Eine Bekannte pflegte Constantine Keilmann. Sie starb am 20. Mai 1953, im Alter von 60 Jahren.
Im Jahr 1961 verließ Keilmann die DDR. Er hatte im Jahr 1960 in der Bundesrepublik eine Bekannte besucht. Dieser Besuch war DDR-Maßstab „illegal“ gewesen. Die Staatsmacht erfuhr davon, wovon wiederum Keilmann inoffiziell berichtet wurde. Ein Grenzpolizist mit Familie sollte Keilmann als Untermieter zugewiesen werden, Briefe aus dem Westen kamen nicht an. Keilmann hatte Angst vor einer Bestrafung wegen Verstoßes gegen das Passgesetz und siedelte deshalb in die BRD über.
Im Jahr 1971 starb Egon Keilmann in Frankfurt/Main.
Nachfolgend werden bildliche Zeugnisse von Egon Keilmann vorgestellt.
Von 1930 bis 1939 erschienen Aufnahmen von Keilmann im Rostocker Anzeiger, sowohl im Lokalteil des Blattes als auch in der Hochglanz-Wochenendbeilage.
Die Abbildung der Hansa-Apotheke machte die Verortung einer Interieur-Aufnahme möglich:
Egon Keilmann gab auch Ansichtskarten heraus, von Gaststätten, Herbergen, Sportvereinen:
Zum Militär hatte Keilmann gute Verbindungen. So gab er Ansichtskarten der Rostocker Kasernen heraus:
Keilmann fotografierte auch zu Aufmärschen und sonstigen Anlässen.
Wie viele andere Fotografen fertigte Keilmann in Rostock und Umgebung auch Hochzeitsaufnahmen. Die folgende, tragik-komisch wirkende Hochzeitsgesellschaft ist der Abschluss dieser Geschichte.
Mein Dank gilt Robert Dupuis, dem Max-Samuel-Haus Rostock und dem Landesarchiv Greifswald.