Sievert Nicolai Steenbock wurde 1821 in Adelbye bei Flensburg geboren. Dort lernte er bei dem Maler Matthias Kriegsmann, der sich auch der Daguerreotypie und der Fotografie widmete.
In den 1840er Jahren war Steenbock zeitweilig in Rostock, ab 1846 wohl dauerhaft. 1849 erhielt Steenbock eine Konzession als Lithograph und das Rostocker Bürgerrecht. Steenbock war vielseitig interessiert und gebildet, arbeitete auch als Porträt- und Landschaftsmaler, war Ornithologe und Präparator. 1850 bis 1863 war Steenbock Konservator am Academischen Museum der Universität. Mehr zu diesen Tätigkeitsfeldern finden Sie in dem von Renate Seemann verfassten Aufsatz „Sievert Nicolai Steenbock – ein fast vergessener mecklenburgischer Ornithologe, Präparator und Fotograf“ in „Stier und Greif“ Jahrgang 2000.
1852 eröffnete Steenbock ein fotografisches Atelier, arbeitete anfangs in der Langen Str. 64, ab 1856 in der Eselföterstraße, ab 1863 in der Koßfelderstr. 7.
Steenbock fertigte ganz überwiegend Porträtaufnahmen. Die folgenden Aufnahmen stammen aus der Zeit von 1863 bis 1882 und sind in der (wahrscheinlichen) zeitlichen Abfolge abgebildet. Es sind allesamt Visitformate. Es fällt auf, dass die abzulichtenden Personen ganz überwiegend in die Kamera sahen oder zumindest in die Richtung. So kommt eine gewisse persönliche Atmosphäre zustande. Die höfische Attitüde, ins Irgendwo zu starren, kommt erst später auf.
Steenbock hatte 1850 geheiratet. 1860 wurde Sohn Franz geboren, der 1884 in das Fotografengeschäft des Vaters mit einstieg. Das Atelier firmierte nun als Steenbock & Sohn.
Steenbock fertigte auch Landschafts- und Stadtansichten.
Im Sommer blieb das Atelier über Wochen geschlossen.
Die nachfolgenden Visitformate entstanden in der Zeit 1884 bis 1892:
Die Photokartons wurden in Berlin von Alex Lindner gefertigt.
Um 1890 verwendete Steenbock wahrscheinlich Albumin- (oben) und Gelantinepapiere (nachfolgend) parallel.
Auch diese Kartons stammten aus Berlin, von der Firma eines der mecklenburgischen Fotopioniere, von Ludwig Gustav Kleffel und Sohn. Kleffel war in den 1860er Jahren von Goldberg nach Berlin gezogen. Die letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 1885 verbrachte Kleffel in Rostock, die Berliner Firma existierte noch Jahrzehnte weiter.
Sievert Steenbock war umtriebig, im Beruf und in der Freizeit. Von 1861 bis zu seinem Tod war er aufgrund seiner ornithologischen Interessen aktives Mitglied im Verein der Freunde der Naturgeschichte Mecklenburgs. In den 1880er Jahren wirkte Steenbock im Vorstand von Canaria. Verein für Singvögel- und Geflügelzucht zu Rostock, in den 1860er und 1870er Jahren war er Mitglied des Rostocker Kunstvereins.
Steenbock nahm wohl regelmäßig an den Landes-Gewerbeausstellungen teil, so 1872 mit Chromo-Photographien.
Als 1892 die Mecklenburgische Landes-Gewerbe- und Industrieausstellung wieder in Rostock stattfand jubelte der Rostocker Anzeiger am 02.08.1892 über die Steenbockschen Ausstellungsstücke: „Darf das Steenbock´sche Atelier sich überhaupt als eins der allerbesten betrachten, so müssen wir gestehen, daß wir die photographischen Vergrößerungen desselben in keiner Großstadt in gleicher Ausführung gesehen haben. Da ist die Hand eines Künstlers am Werk. Die Feinheit dieser Kreidezeichnungen, die nicht nur den Fleischton wiedergeben, sondern auch das Charakteristische der Gewandungen so deutlich markiren, daß wir die Art des Bekleidungsstoffes sofort erkennen, ist mit gutem Grunde von allen Beschauern bewundert worden. Leben und Naturwahrheit athmen diese meisterhaften Bilder, die mit den Schöpfungen des Malers wetteifern, dem die Farbenpalette zur Seite steht.“
In Würdigung dieser Leistungen wurde Steenbock im September 1892 der Titel des Hofphotographen verliehen.
Zwei Jahre später zog das Steenbocksche Atelier in das Dachgeschoss Am Hopfenmarkt 4.
Und noch einmal aus der anderen Richtung:
Die folgenden drei Abbildungen wurden in dem neuen Atelier aufgenommen.
Das folgende Kabinettformat zeigt das Franz und Margarethe Erhardt. Franz Erhardt war Philosoph und von 1898 bis 1929 Professor an der Universität Rostock.
Die erhaltenen Bilder lassen vermuten, dass das Atelier des Hof-Photographen von eher wohlhabenden Leuten aufgesucht wurde. Auch die nächste Aufnahme kann dafür als Indiz gelten. Die gut gekleidete Dame ließ sich auf einer nicht ganz preiswerten Platinotypie verewigen.
Um 1900 betrieben die Steenbocks eine Filiale in Ribnitz:
Im Oktober 1903 wurde das Rostocker Atelier wieder in die Kossfelderstraße verlegt.
Das Atelier am Hopfenmarkt wurde noch Jahrzehnte genutzt, zunächst von Emil Schoeppach, der 1904/1905 das Atelier „Erna“ betrieb. Wahrscheinlich gab es kurz nach 1900 den Versuch, eine Atelierkette namens „Erna“ zu installieren, denn es gab auch in München, Duisburg und Frankfurt/M. Ateliers mit diesem Namen.
Letzter Nutzer des Ateliers am Hopfenmarkt war in den 1920er und 1930er Jahren Fritz Palm.
Zurück in die Kossfelderstraße zu den Steenbocks. Sievert Steenbock starb am08.03.1904. Franz Steenbock führte das Geschäft fort. Anfang April 1904 wandte er sich an den Großherzog zwecks Beibehaltung des Hof-Photographen-Titels. Es wurde eine Neuverleihung des Titels verfügt: „Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem Photographen Franz Steenbock, in Firma Steenbock und Sohn, in Rostock den Titel als Hofphotograph zu verleihen geruht. Schwerin, den 13. April 1904.“
Franz Steenbock hatte in Rostocks Beletage eingeheiratet. Seine Frau Bertha, die er 1889 ehelichte, war die Tochter des Reeders Friedrich Zelck. Wenn ein neues Schiff getauft wurde, soll Steenbock immer mit der Kamera dabei gewesen sein. Leider habe ich keinen bildlichen Beleg dafür. Er war aktiver Segler im Segelclub „Greif“. Der Rostocker Anzeiger berichtete am 23.6.1893 vom Zieleinlauf einer Vereinswettfahrt: „Als Erster erschien der Kutter „Germania“ (Besitzer F. Steenbock jun.), welcher um 5 Uhr 54 Minuten den Start am Fischerthor passirte und den ersten Preis errang.“
Franz Steenbock fotografierte nicht nur, er behandelte auch verblasste Ölgemälde nach dem Verfahren von Max von Pettenkofer.
Der 1. Weltkrieg führte anscheinend zu Nachwuchsmangel. So inserierte Steenbock mehrfach in den Kriegsjahren eine Lehrstelle.
Der Krieg brachte ein neues Aufgabenfeld: Erinnerungsfotos der gefallenen Söhne. Die folgende (sprachlich etwas abenteuerliche) Anzeige erschien regelmäßig in den Kriegsjahren:
Nur wenige fotografische Stadtansichten sind von den Steenbocks überliefert. Ob das nächste Bild von Sievert Steenbock aufgenommen oder nur reproduziert wurde, ist ungeklärt.
Im Jahr 1925 hatte das Steenbocksche Atelier bereits seit ca. drei Jahren seinen Betrieb eingestellt.
Bis 1940 findet sich der Name des Hofphotographen im Adressbuch. Wahrscheinlich wird das Wohn- und Geschäftshaus in der Koßfelderstraße bei den Bombardierungen im Jahr 1942 zerstört. Am 25. Mai 1945 stirbt Franz Steenbock in Kühlungsborn.
Bleiben werden die Bilder aus vornehmlich besseren Kreisen der Rostocker Gesellschaft.